Cusanus-Konzert 2014
Seit 2001 gehört die alljährlich stattfindende „Cusanus-Akademie“ als Anlass zu Würdigung und Reflexion über Person und Werk des Schulpatrons Nikolaus von Kues’ zum festen Bestandteil des Schullebens am Bischöflichen „Cusanus“-Gymnasium in Koblenz. Zweifelsohne einem der größten Denker seiner Zeit, geboren im spätmittelalterlichen Kues des Jahres 1401, gestorben am 11. August 1464 in Todi / Umbrien, gewidmet, kommen in der zu wunderbarer Tradition gewordenen Reihe hochkarätige theologisch-philosophische Vorträge und Konzerte, mit großem Engagement gestaltet und organisiert durch eine breite und aktive Schulgemeinschaft, zu Gehör.
Turnusgemäß wurde nun am 18. September 2014 (im 550. Todesjahres des Patrons) in der Florinskirche zu Koblenz, wo Cusanus zwölf Jahre lang als Stiftsdekan wirkte, ein klassisches Konzert dargeboten, vielversprechend dem „Wahren, Schönen, Guten“ – gleichsam wie die „Alte Oper“ in Frankfurt – gewidmet. Dass solch hehre Worte, das Ideal eines gleichermaßen geisterfüllten, ästhetischen und erkenntnisspendenden Kunstwerkes umschreibend, nicht zu einer Bürde werden müssen, bewiesen ausnahmslos alle Mitwirkenden eindrucksvoll. Denn hoch professionell und mit feinem Gespür für Maß und Form geleiteten zwei Chöre, einerseits der eigens für diesen Anlass gegründete „Cusanus-Projektchor“, bestehend aus Lehrern, Eltern, Ehemaligen sowie Freunden und Förderern des Gymnasiums, andererseits ein Schülerchor, bestehend aus Schülern der Klassen 6b und 6c, das schuleigene Streicherensemble „FRISCH GESTRICHEN“ und die beiden leitenden Lehrkräfte Frau Christa Molitor-Naunheim, die höchst versiert Streicherensemble und Schülerchor einstudierte sowie als Dirigentin des Abends Chöre und Ensemble zur dargebotenen Höchstleistung antrieb, und Herr Christian Rivinius, der den großen Projektchor ins Leben rief sowie mit herausragenden Leistungen an der großen Orgel in St. Florin brillierte, durch den Abend.
Jener begann sinngebend mit Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge in Es-Dur, BWV 552, meisterlich gespielt von Christian Rivinius. Majestätisch und auf erhabene Weise durch die zugrundeliegende punktierte Rhythmik und feine Triller-Verzierungen ausgeschmückt, gibt sich das Präludium höchst feierlich, bisweilen beschwingt. Und doch bleibt diese Hochstimmung durch gesetzt wirkende Akkorde weitestgehend geerdet. Auch lassen sich bereits im formal freien Präludium kunstvoll fugierte Elemente entdecken – sozusagen als Vorausdeutung auf die nachfolgende Fuge, die in die Musikwissenschaft als Trinitatis-Fuge eingegangen ist. Dieser Beiname geht auf den Theologen, Arzt, Philosophen, Friedensnobelpreisträger und exzellenten Bach-Experten Albert Schweitzer zurück, der in den drei Soggetti, die dieser sogenannten Tripelfuge zugrunde liegen, die göttliche Trinität widergespiegelt sah. Das erste Thema – mit großen Notenwerten gleichsam unendlich und allumfassend – symbolisiere Gott den Vater. Das zweite – lebendig in kurzen Notenwerten stetig auf- und abspringend – stehe für Christus, den fleischgewordenen Mittler zwischen Himmel und Erde. Das dritte – gekennzeichnet durch einen markanten Sprung nach unten – versinnbildliche die pfingstliche Beseelung des Menschen durch den heiligen Geist. Die Reinheit der Komposition und die Einheit, zu der die drei Themen in der Reprise zusammengeführt werden, unterstützen die These, dass es sich bei den drei Soggetti um die drei göttlichen Personen handle. Die Assoziation des Werkes mit Albert Schweitzer weist auf eines seiner berühmten Zitat hin, welches die Trinitatis-Fuge im Geiste untrennbar mit der Widmung „dem Wahren, Schönen, Guten“ verbindet: „Was Bach mir ist? Ein Tröster. Er gibt mir den Glauben, dass in der Kunst wie im Leben das wahrhaft Wahre nicht ignoriert und nicht unterdrückt werden kann, auch keiner Menschenhilfe bedarf, sondern sich durch seine eigene Kraft durchsetzt, wenn seine Zeit gekommen.“
Dass jedoch auch rein weltliche Musik dem Leitgedanken wahrhaftiger Ästhetik entsprechen kann, bewies die Darbietung von Joseph Haydns Konzert für Orgel und Streicher F-Dur, Hob. XVIII:8. Mit großer Spielfreude und wohl ausbalancierter Interaktion zwischen Streichern und Orgel, wirkte der erste Satz lebendig und durch stetiges Wetteifern des Soloinstrumentes Orgel mit dem Streichorchester abwechslungsreich. Die Klippen von Intonation und rhythmischer Präzision bewältigte das Ensemble „Frisch gestrichen“ (Leitung: Christa Molitor-Naunheim) bravourös, sodass die Stimmung in den schnellen Ecksätzen niemals von beschwingt nach hektisch umschlug. Äußerste Musikalität und das Vermögen, lyrisch zu musizieren, brachte das Ensemble im zweiten Satz zu Gehör, dem nachdenklichen Gegenpol zu den heiteren Ecksätzen. Über einer akkordhaften Achtel-Begleitung der Streicher bleibt der Orgel Raum zur Entfaltung einer äußerst gesangvollen Melodie – eine wunderbar herzenserquickende und geistanregende Atempause.
Das Motto nun auf katholisch rituelle Weise ausdeutend, boten die beiden nachfolgenden geistlichen Chor-Werke einen neuen, theologischen Anknüpfungspunkt: Es folgte ein Auszug aus Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ mit dem Titel „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“. Was im Original für Chor und Solisten komponiert ist, wurde in der Bearbeitung Paul Horns ganz dem Chor überantwortet. Wiederum ausgewogen begegneten sich instrumental begleitende und vokale Anteile. Den stimmlichen Anforderungen sicher gewachsen und musikalisch höchst ansprechend, artikulierte der Cusanus-Projektchor ausgesprochen klar verständlich. Diese Lobeshymne auf die gute Schöpferkraft des Herrn leitete außerdem klug zur nachfolgenden Missa brevis „Sancti Joannis de Deo“, auch „Kleine Orgelmesse“ genannt, über. Das Ensemble komplettierten nun die Schüler der sechsten Klassen, die zur Messe die Sopran- und Altpartien beisteuerten. Die „Kleine Orgelmesse“ folgt streng dem Ordinarium Missae, welches den römisch-katholischen Messritus seit dem Mittelalter festlegt. Von Anfang an bot sich dem Hörer ein exzellenter, raumfüllender, farbenreicher Klang dar. Die Interpretation berücksichtigte die jeweils durch Text und die diesen ausführende Musik gegebene Atmosphäre gekonnt, bisweilen leidend beim „homo factus“ und im „crucifixus“, ja mystisch beim „incarnatus“, dagegen jubelnd beim Gloria, Sanctus und „Dona nobis pacem“. Die im Benedictus vorgesehene schwierige, da teils chromatische und reich gezierte Solo-Sopran-Partie trug Frau Birgit Girod präzise und mit einer breiten stimmlichen Spannweite vor.
Abschließend zeigte Christian Rivinius an der großen Orgel erneut sein ganzes Können in einem Werk, was dem Organisten alles abverlangt, einem famos-furiosen Kraftakt: Franz Liszts Präludium und Fuge über den Namen B-A-C-H gilt als eines der bedeutendsten, monumentalen romantischen Orgelwerke. Gleichsam als Huldigung an Johann Sebastian Bach verwendet Liszt als einziges Thema des fast viertelstündigen Solo-Werkes das Namensmotiv des barocken Großmeisters, welches dieser selbst im Kopfsatz seines zweiten Brandenburgischen Konzertes und in der „Kunst der Fuge“ verwendete. Auch die Form huldigt Bach, der als Begründer dieser zweiteiligen Gattung gilt. Direkt nahm dieses letzte Werk des Abends also Bezug auf das erste Werk – wie Joachim Dorfmüller es prägte: „Bach – Anfang und Ende aller Musik, Alpha et Omega.“ Christian Rivinius’ Interpretation der Fassung von 1870 faszinierte mit trockener Exaktheit, Virtuosität und unbändiger Kraft – eine grandiose Leistung.
Schließlich tobten die Zuhörer ob des gesamten Konzertes mit gleicher Ekstase wie die Liszt’sche Musik. Dem Streben des Geistes nach Wahrheit, welches der Universalgelehrte Cusanus einst als Essenz des Lebens bezeichnet hatte, war in diesem Konzert auf schönste und beste Weise nachgegangen worden. Ein famoser Konzertabend ging zu Ende und allen war bewusst, dass das diesjährige Cusanus-Konzert – geistreich, kunstvoll und anregend zugleich – zurecht dem „Wahren, Schönen, Guten“ gewidmet war.
Text: Tim Hoffmann
Bilder: I. Beller