Mit Resilienz und Gottvertrauen
Wer nur den lieben Gott lässt walten
Johann Sebastian Bach (1685-1750): "Wer nur den lieben Gott lässt walten" ('aus dem Orgelbüchlein') BMV642
Johann Sebastian Bach (1685-1750): "Wer nur den lieben Gott lässt walten" ('aus den 'Schübler-Chorälen'') BMV647
eingespielt am 08.04.2020 von Christian Rivinius an der Westenfelder-Orgel der Kirche St. Antonius in Waldesch.
Neue Gedanken zu einem alten Kirchenlied
GL 424; Text: Johann Georg Neumark, 1641; Musik: Johann Sebastian Bach um 1736
1. Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.
Hundert Mal gesungen, dieses Lied, oft mit einem schiefen, ironischen, fast schon zynischen Grinsen. Naiv, diese Haltung! Allein schon der „liebe Gott“: Ist der nicht nur etwas für Abendrituale am Bett kleiner Kinder? „Schön brav einschlafen! Alles ist gut!“ Das passt genau zum immer wieder gehörten Vorwurf von Atheisten und Agnostikern: „Ihr Gläubigen, ihr seid doch nur zu ängstlich, um euch der rauen Wirklichkeit zu stellen! Wer glaubt, hat Angst, die er mit einem vormodernen Anstrich übertüncht.“ Danke für diesen Hinweis als Waschanlage für meinen Glauben: Frage dich, wieviel Angst, wieviel Unfähigkeit, wirklich hinzuschauen und dir das Schlimme zuzumuten, noch in deinem Glauben steckt! Und dann, nach dem Schleudergang, wenn du dir den Hunger in der Welt, das Waldsterben, den Klimawandel, die Corona-Krise, das Flüchtlingselend und die atomare Bedrohung gegeben hast, dann bleibt doch die süße Melodie: „Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, / der hat auf keinen Sand gebaut.“
2. Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit.
Da hast du absolut Recht, lieber Georg Neumark: Das dauernde Kreisen um die Sorgen, das Fixiert-Bleiben auf das Elend, das selbstquälerische Sich-Suhlen im Schlamm hat mir noch nie geholfen. Manchmal glaube ich, es sei eine moralische Pflicht. Aber das ist es nicht, denn es hilft auch niemand anderem. Die Welt wurde noch keine Stückchen besser dadurch, dass ich mich im Gedanken-Karussell halb zu Tode kreisele.
Erkenntnis aus dem 17. Jahrhundert und genau in der Linie der heutigen Resilienz-Forschung: Resilienz - die Fähigkeit, wie ein Stehaufmännchen durch Lebenskrisen hindurchzugehen, ohne daran zu zerbrechen. Alle Resilienz-Ratgeber sind sich einig: Neue Impulse, Weltverbesserei entsteht nur aus dem Positiven. Also: Das Elend sehen, es annehmen, dann nach dem Hoffnungsschimmer suchen, der Möglichkeit in der eigenen Nachbarschaft, im eigenen Garten, in der eigenen Begabung… und sich mit Kreativität an die Arbeit machen!
3. Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.
Oh ja, wie schön! Still in sich selbst vergnügt sein. Das ist die herrlichste, weil freieste Haltung, die es gibt!
Übrigens, das ist gar keine romantische Soße, sondern ein echtes Lebenszeugnis des Dichters dieses Liedes: Johann Georg Neumark, 1621 in Thüringen zu Beginn des 30-jährigen Krieges geboren. Als Kriegsflüchtling fand er in Kiel eine kümmerliche Unterkunft; seine Lebenspläne, nach dem Abitur in Königsberg Jura zu studieren, hatten sich zerschlagen. So verbrachte er viele Nächte in Tränen, der Verzweiflung nahe. Dann eines Morgens 1641 die Nachricht, dass die Lehrerstelle, auf die er sich beworben hatte, endlich für ihn offenstand. Das ist die Situation, in der er sein Dank- und Vertrauenslied dichtete.[1]
4. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen
und ist dem Höchsten alles gleich:
den Reichen klein und arm zu machen,
den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann,
der bald erhöhn, bald stürzen kann.
Wir denken immer, wir hätten es durchschaut, wir wüssten genau, wie alles geht. Aber wer hätte vor drei Monaten die Corona-Krise vorausgesagt? Wer weiß jetzt schon, welche Chancen neben allem Leid auch darin stecken? Vielleicht lernen wir endlich, dass es auch ganz anders geht? Vielleicht gelingt uns der Turn hin zu einem nachhaltigen und sozialen Lebensstil endlich? Man braucht das ja gar nicht: Das ständige von A nach B Hasten, all die Kurzstreckenflüge! Oft hörte man in der Vergangenheit, wenn man sich für die ökologische Wende starkmachte, es ginge ja nicht, auf so Vieles zu verzichten. Sieh an, es geht ja doch! Würde mich nicht wundern, wenn der Heilige Geist bei dieser Erkenntnis seine Finger mit im Spiel hätte. Das ist typisch ER, der „rechte Wundermann“!
5. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
Ich glaube nicht, dass die oben erwähnten Atheisten und Skeptiker recht haben. Es ist nicht leichter zu glauben und zu vertrauen. Oft ist es viel leichter, skeptisch zu sein, der ewige Zweifler zu bleiben, der es nachher vorher gewusst hat. Man muss sich dann ja nicht festlegen, man muss sich selbst einbringen. Und das ist doch die eigentlich schwere Lebensaufgabe: Kontrolle abgeben, Vertrauen üben, den Sprung wagen, sich hingeben. Wie viele Kämpfe der schockierten Jünger nach Karfreitag zeugen davon. Doch dann der Augenöffner beim Gang nach Emmaus: Jesus geht ja mit!
Probieren wir es doch einmal ab diesem Osterfest: Sag zu den Schwarzsehern: Ihr habt ja so recht! Aber ich bin nicht Jesus. Er hat die Welt erlöst. Ich muss das zum Glück nicht mehr tun. Ich weiß, ich bin nur ein kleines Bisschen groß und ein großes Bisschen klein. Die Erde gehört immer noch Gott, nicht mir. Deshalb bleibe ich dabei, treu das Meine zu verrichten. Der Rest ist Vertrauen.
Danke, lieber Johann Georg Neumark, danke, lieber Johann Sebastian Bach! 😊
Gedanken von Beatrix Mählmann, 08.04.2020
[1] Vgl.: Wolfgang Hug: Von der Poesie des Glaubens. Ökumenische Liederkunde. Freiburg i. B. 2016, S. 352.