Live-Chat

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Eine neue Erfahrung für mich und vielleicht auch für andere in diesen Tagen: Unterrichten im Live-Chat. Die Schul-Cloud macht`s möglich, dass ich mit meiner achten Klasse in Deutsch über das Gedicht „Willkommen und Abschied“ von Goethe direkt ins Gespräch komme, obwohl wir das vertraute Klassenzimmer schon seit über einer Woche nicht mehr von Innen gesehen haben.

Zur vereinbarten Uhrzeit sitze im am Laptop und tippe eine Frage in das Feld für die Nachrichten ein: „Hallo, ist jemand von euch da?“ „Ja, ich bin hier“, schreibt Mathis, dann meldet sich Oskar und eh ich mich versehe, ploppen lauter kleine Sprechblasen mit schrägen Katzenbildern auf: „Hallo, ich bin auch dabei“, „Und ich auch“. Mehr als zehn Schülerinnen und Schüler lesen mit, antworten auf Fragen und gehen auf Vorschläge ihrer Mitschüler ein. Der junge Goethe und sein wild-sehnsüchtiger Reiter werden lebendig. Eigentlich sitzt jeder von uns alleine an seinem Computer und hält sich an die neue Bürgerplicht „Stay@home“, und doch sind wir verbunden: im Live-Chat, im lebendigen Gespräch.

Direkt reden mit einem, den ich nicht sehe und nicht höre, von dem ich nur lesen kann, und trotzdem ganz lebendig reden? Das kenne ich noch woanders her: vom Beten. Und vielleicht ist das genau die richtige Zeit, um das wieder zu lernen: Morgens oder abends hinsetzen und Gott all die Fragen, all die Sorgen, die vielen Gedanken und manches Merkwürdige sagen. Vielleicht sogar es vor ihn hinschmeißen, all die Empörung über das Virus, die Frage: „Wie soll`s weitergehen?“ Ob er wohl mitliest? Ob er antwortet? Ploppt irgendwo eine Sprechblase auf mit dem verrücktesten Katzenkopf „Gott“? Es gibt Menschen, die davon erzählen, wie sie in einem solchen Gebet buchstäblich eine Stimme im Inneren hörten, die ganz persönlich zu ihnen sprach, meist an einer echten Kreuzung ihres Lebens. Und ich kenne einige, die danach keine Zweifel mehr hatten, was ihr Weg war, und ihn einfach gingen. Aber auch, wenn man das noch nicht erlebt hat, gibt es die Erfahrung, dass sich eine innere Klarheit einstellt. Ein solches Gebet kann klären und reinigen.

Und noch mehr: „Betet ohne Unterlass“, heißt es im ersten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher (1Thess 5,17). Jetzt mag manch einer denken: Wie soll das denn gehen, neben all der Plackerei, dem Homeoffice, neben der Küchentisch-Schule und der Wohnzimmer-Kita, neben dem Kampf ums Klopapier beim Rewe, neben der sorgenvollen Pflege am Krankenbett jetzt auch noch beten? Aber es geht dabei nicht ums Worte-Machen, viel eher um eine Haltung: Halte Dich in SEINER Gegenwart, halte den inneren Kanal offen für IHN, bleib in der Direktverbindung, im Live-Chat. Sei Dir bewusst: „Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ (Ex 3,5) Da muss man sich nicht fromm verbiegen, keine brave Seite nach außen kehren. Wozu? Nein, trau ihm das einfach zu: Alles, was da ist in Dir und in Deinem Leben gleich durch das heilige WLAN zu IHM fließen lassen. Dann wird dein Leben zum Live-Chat, vielleicht sogar zum Life-Chat, zum Lebensgespräch.

 

Beatrix Mählmann, 24.03.20, 8.30 Uhr