Roma 2019
Aufbruch im herbstlichen Koblenz. Vier Busse, darunter ein „Doppeldecker“, warteten am Hauptbahnhof auf etwa 250 Schüler, Eltern, Lehrer und Ehemalige unserer Schule: Zum neunten Mal hieß es, Pilger-und Studienfahrt in die „Ewige Stadt“! Die Stadt der Päpste und Kaiser, Sitz von Regierung, Parlament und Senat des modernen Italien nach dem Risorgimento, dem Ringen um die nationale Einigung, seit 1870. Fahrer und Fahrzeuge, so der erste Eindruck, der sich rasch bestätigen sollte, waren allen Anforderungen gewachsen. Manch einer unter den Teilnehmern mochte den Zugfahrten nachtrauern. Da konnte das Gemeinschaftsgefühl in der Annäherung an das Ziel allmählich wachsen. Da mussten jetzt die Stopps an den Raststätten in der Schweiz und in Oberitalien sowie die Gespräche in den Bussen übernehmen.
Selbst an Schlaf war hin und wieder zu denken, bis die Morgensonne toskanische Städtchen, Pinien und Olivenhaine vor und nach Florenz mit mediterranem Licht umspielte. Vorfreude!
Orvieto, die Vorbotin auf der Fahrt nach Rom, war freilich in Nebel getaucht und machte sich so auf schroffem Hügel unsichtbar.
Gegen elf Uhr erreichten wir die Quartiere. Unseres lag in der Nähe der Metro-Station Cipro; etwa 20 Minuten sind es von dort zu Fuß zum Petersplatz.
Kaum waren die Koffer verstaut, ging es ins „centro storico“, zur ersten Erkundung. Von Termini aus, wo sich die beiden U-Bahnlinien A und B kreuzen, führte unser Weg den Esquilin, einen der sieben römischen Hügel, hinab zur Subura, das dunkle, etwas anrüchige Viertel früherer Zeiten, heute durchaus angesagt, mit kleinen Trattorien und Café-Bars. Gleichsam von hinten näherten wir uns dem antiken Herz der Stadt, dem Forum. Faszinierende Blicke ergaben sich durch die Überreste der Kaiserforen bis zum Nationaldenkmal in gleißendem Weiß, liebevoll und despektierlich zugleich „Gebiss“ oder „Schreibmaschine“ genannt. Von oben jedenfalls soll man einen herrlichen Ausblick auf die Altstadt genießen.
Als ihr „Rückgrat“ kann mit einigem Recht der Corso gelten. Wir tauchten in die Menschenmenge ein, die sich auf der breiten Straße langsam fortbewegte, um sobald wie möglich Berninis Elefanten zu begegnen (der nach seinem Entwurf entstanden ist um einen Obelisken zu tragen). Ich glaube, es ist der kleinste in Rom, dennoch eine eindrucksvolle „Sonnennadel“ als Orientierungspunkt in der Stadt. Sie schmückt den Vorplatz der einzigen großen gotischen Kirche Roms, Santa Maria sopra Minerva. Dieses Mal war das eindrucksvolle Gebäude im schlichten Gewand geschlossen. In ihrer Nachbarschaft das Pantheon, der Tempel „aller Götter“, Kirche seit dem siebten Jahrhundert, mit der wunderbaren Kuppel. Sie sollte Michelangelo neben dem Dom in Florenz als Beispiel für den Petersdom dienen. Freilich mit einem „Angstmeter“. Die Peterskuppel hat einen etwas kleineren Durchmesser, immerhin über 40 Meter, als ihr antikes Vorbild.
Es würde zu weit führen, im buchstäblichen Sinn, alle Kleinode in der Innenstadt aufzuführen, die wir per pedes angesteuert und bestaunt haben, vom Pantheon, über die Piazza Navona bis zu Santa Maria del Populo. Dort ist einst ein Pilger im benachbarten Augustinerkloster abgestiegen, der die morsche, verweltlichte Kirche seiner Zeit mit einer umfassenden Reformation erneuern wollte: Martin Luther.
Ein Höhepunkt unseres zweiten Tages in Rom war zweifellos der gemeinsame Gottesdienst in der äußerlich unscheinbaren, aber von innen in ihren Mosaiken glänzenden Kirche Santa Prassede. Heribert Steffens, ehemaliger Kollege und romerfahren seit vielen Jahren, gab eine anschauliche Einführung in Geschichte und Ausgestaltung dieser Kirche aus dem fünften Jahrhundert, der hl. Praxedis geweiht, einer Tochter des Senators Pudens, aus den Anfängen der römischen Gemeinde der Christen im ersten Jahrhundert. „Giardino del Paradiso“, „Paradiesgärtlein“ nennen die Römer Santa Prassede, nicht zuletzt wegen der unter Papst Paschalis I. (817-824) ausgeschmückten Zenonkapelle, benannt nach einem Veroneser Bischof des dritten Jahrhunderts.
Ein freudiges Wiedersehen gab es für viele Besucher des Gottesdienstes mit Monsignore Ottmar Dillenburg, dem früheren Schulpfarrer (2005-2009) und jetzigen Präses des weltweiten Kolpingwerkes. Wie in den vergangenen Jahren ließ er es sich nicht nehmen, bei der Romfahrt des „Bischöflichen“ dabei zu sein. Die Freude beruhte auf Gegenseitigkeit. Im Mittelpunkt des gemeinsamen Gottesdienstes aller Gruppen aus Koblenz stand Maria, die Mutter Jesu Christi und gleichsam erste Pilgerin in der Nachfolge ihres Sohnes. Musikalisch wurde der Gottesdienst getragen durch den von Wolfram Hartleif begründeten und geleiteten Projektchor, in dem Schüler, Lehrer und Eltern wunderbar zusammen agierten, wie sich eindrucksvoll zum Abschluss in St. Paul vor den Mauern bestätigte. „Ein Chor, der zusammen bleiben sollte“, wie Schulleiter Carl Josef Reitz betonte. Er selbst begleitete die beiden Gemeinschaftsgottesdienste an der Orgel. Für ihn erfüllte sich, wie er in St. Paul verriet, ein „Herzensanliegen“.
Zurück auf den Straßen der Stadt machten sich rasch wieder die Autos bemerkbar. Überallhin bahnen sie sich in der Altstadt ihren Weg; keine Gasse ist ihnen zu eng. Fußgängerzonen und Fahrradwege: weitgehend Fehlanzeige! Die „Ewige Stadt“ hat da noch jede Menge Nachholbedarf. Die Römer, sagt man, brauchen keine Straßennamen. Viele von ihnen erkennen die Wege an den unterschiedlichen Bäumen am Straßenrand: Akazien, Oleander, Steineiche, Platanen und andere geben sich ein Stelldichein und machen aus Rom, Lärm und Abgasen zum Trotz, eine vergleichsweise grüne Stadt mit vielen kleinen und größeren Plätzen. Immer wieder galt es Neues zu entdecken, ergaben sich andere Perspektiven und Durchblicke. Zum Beispiel vom abendlichen Pincio aus auf die Dächer der Stadt, noch in der Abendsonne oder in den hellen Lichtern, die aus Straßengewirr herauf blitzten. Dass auf der Spanischen Treppe niemand mehr sitzen darf, ist hoffentlich nur ein kurzes, ärgerliches Intermezzo.
Eine wohltuende Unterbrechung bot für einige Gruppen ein Ausflug ans Meer mit herrlicher Brandung in C. Colombo, der Endstadion in Richtung Roma Lido. Einmal mehr war „Ferrovia“, die italienische Bahn, superpünktlich, um uns zurück an das eigentliche Ziel unseres Tagesausflugs zu bringen: nach Ostia antica.
In der alten Hafenstadt Roms über den Decumanus, eine der beiden Hauptstraßen, zu schlendern, war Entschleunigung und Zeitreise zugleich. Die ausgefahrenen Pflastersteine erinnern an die zahllosen Wagen, die ihre Waren vom Tiber in die Stadt oder von dort zum Hafen beförderten. Die Transporteure hatten ihr eigenes Bad. Dort konnten sie sich erfrischen, in einer Therme mit schönen Mosaikfußböden, wie auch im größeren Neptunsbad mit Mosaiken, die die Venus von Ostia zeigen oder Neptun selbst, der mit seinem Dreizack die Wellen furcht.
Ein Höhepunkt für unsere Gruppe war der Aufenthalt im gut erhaltenen Theater aus der Zeit des Kaisers Augustus und anschließendem Picknick unter Pinien mit mediterranen Köstlichkeiten. Das Haus der Diana ließ uns staunen, ebenso wie eine (fast) funktionstüchtige Taverne und das imposante, hoch aufragende, allerdings abgeschlossene Kapitol. Es stand im Zentrum der einst blühenden Stadt mit den Handelsniederlassungen aus dem ganzen Imperium.
Am Mittwoch unserer Rom-Woche hieß es früh aufbrechen: Wie immer und zu erwarten bildeten sich lange Schlangen schon vor den Kolonaden des Petersplatzes zur Audienz des Papstes. Musik und mehrsprachige Begrüßung hatten die Aufgabe, die Wartezeit vor Beginn zu verkürzen. Sitzplätze gab es nur für diejenigen, die früh genug zum Petersplatz gekommen waren.
Schließlich kam Papst Franziskus im weißen und erstaunlich schnellen Papamobil. Die Leibwächter hatten zum Teil ihre liebe Mühe mit dem Tempo Schritt zu halten. Freundlich lächelnd und grüßend fuhr der Papst durch die Menge, bevor die eigentliche Audienz mit einer Bibelauslegung begann: Die Begegnung des Philippus mit dem äthiopischen „Finanzminister“ laut Apostelgeschichte. Ein Beispiel für die zeitlose, menschennahe Aufgabe der Evangelisierung. Beifall gab es immer wieder, wenn der Papst einige Besuchergruppen begrüßte. Eine davon war das „Bischöfliche Cusanus-Gymnasium aus Koblenz“.
Nach der Audienz hatte unsere Gruppe freie Zeit zur individuellen Erkundung oder Vertiefung der Eindrücke. Ein ebenso kurzes wie heftiges römisches Gewitter erlebten meine Frau und ich in Santa Maria in Trastevere. Der Donner von draußen stand in lebhaftem Kontrast zur feierlichen Stille in der Basilika mit ihren Mosaiken und einem wahren Feuerwerk am Fußboden durch die kunstvolle Arbeit der Kosmaten mit Marmor und Porphyr.
Nicht ohne Grund ist Trastevere bei Einheimischen und Gästen für seine Gastronomie bekannt und geschätzt. Eine Empfehlung will da wohl überlegt sein, bei der Fülle der Angebote und Individualität der Geschmäcker. Dennoch: Eine Wieder-Entdeckung gab es auf der Piazza San Calisto, nicht weit entfernt von Santa Maria in Trastevere. Dort, in der Kirche, findet täglich um 20.30 Uhr ein Abendlob der Gemeinschaft von San Egidio statt, die gleich in der Nachbarschaft ihren Ursprung und ihr Zuhause hat. 1968 von Schülern und Studenten gegründet, findet diese Gemeinschaft in ihrem Einsatz für „Arme und den Frieden“ (per povere e la pace) Mitstreiter auf allen Kontinenten, in über 70 Ländern der Erde.
In die Anfänge des Christentums und der Kirche stiegen wir am letzten Tag unseres Aufenthalts herab, als wir die Katakombe San Calisto an der Via Appia Antica besuchten. Eine sehr gute Führerin erschloss die einzigartigen Fresken und Räume dieser größten von etwa 60 Katakomben Roms. Drei verschiedene Formen von Gräbern, Spiegelbilder des sozialen Status‘ der Verstorbenen, gibt es dort, verteilt auf fünf Stockwerke im Tuffgestein auf insgesamt 20 Kilometer Länge. Besonders eindrucksvoll ist der „unterirdische Vatikan“, eine Kammer für sechs Päpste des dritten Jahrhunderts oder das Grab der hl. Caecilia, Patronin der Kirchenmusik, mit der liegend dargestellten Märtyrerin, in einer kunstvollen barocken Mamorstatue von Maderno.
Eine Begegnung am Rand, aber bemerkenswert, ergab sich im Viertel um Sankt Paul vor den Mauern: Mittagsrast nach dem Besuch in San Calisto in einem kleinen Bistro mit ausgezeichneter römischer Hausmannskost. Mitten im Betrieb hatte die junge, freundliche Wirtin Zeit für eine afrikanische Mutter, die ihr Baby auf dem Rücken trug. Sie hatte ihren bunten Schmuck zuvor auch uns, Teilnehmern aus verschiedenen Gruppen, angeboten. „Al banco“, am Tresen, sprach die Wirtin mit der Afrikanerin, holte eine große Pizza aus dem Ofen, packte sie ein und steckte der Besucherin noch eine tiefgekühlte Limonade zu. An dieser Geste, der wie selbstverständlich geteilten Mahlzeit, hätten der Bischof von Rom und sein Namensgeber der Santo aus Assisi sicher ihre Freude gehabt.
Franziskus und seinen „Sonnengesang“ haben wir mit in unseren Abschlussgottesdienst, in die imposante, aber im Vergleich zu St. Peter getragen-ruhige Basilika genommen.
Als der Chor sich bei einem Lied mitten in die Gemeinde begab und wir uns beim Vaterunser an den Händen hielten, waren das äußerlich sichtbare Zeichen einer Gemeinschaft, die in den Tagen zuvor, etwa beim Morgenlob, insgesamt aber immer wieder auf vielfältige Weise erfahrbar war. Unvergessliche Tage.
Arrivederci, Roma!
Harald Orth