20. März 2017, kalendarischer Frühlingsanfang. Es ist kühl, der Wind pfeift uns um die Ohren, leichter Nieselregen setzt ein.
38 Schülerinnen und Schüler der Jg. 12 rücken enger aneinander, binden den Schal fest um den Hals, die Winterjacken geschlossen, den Blick in die freie Natur gerichtet. Einzelne Sonnenstrahlen lassen das Grün des Mooses noch grüner wirken. Aber die Bäume sind noch kahl, die Natur will hier nicht so wirklich arbeiten.
Überall kleine Tümpel, Gräben, wie in Wellen breitet sich die Landschaft aus. Die weißen Pfosten erklären: Waschhaus, Schule, Bauernhof, Schmiede… 422 Einwohner in Fleury-devant-Douaumont.
Wir gehen weiter, raus aus der Kälte, zurück ins Warme, endlich wieder aufwärmen, einen heißen Kaffee trinken.
Wir schauen uns Erinnerungen an, ein Mémorial. Wie war das wohl? Hattest du eine Freundin? Hattest du Kinder? Hat da jemand auf dich gewartet? Hattest du Angst, Hunger, Durst? Warst du wütend?
Vielleicht sind das ja deine Knochen, die ich gesehen habe, als ich durch das Fenster schaute? Sie nennen es „Ossuaire“. Vielleicht ist das ja dein Bett, vor dem ich stehe, hier unten im Fort. Bist du auch hier entlang gegangen? Waren die Wände genauso feucht wie heute, übersät mit Stalagmiten und Stalaktiten? Willst du eine als Erinnerung? Willst du überhaupt Erinnerung? Hoffentlich hält jemand seine schützende Hand über uns alle!
20. März 1916, kalendarischer Frühlingsanfang. Es ist nasskalt, es hat viel geregnet, der Boden ist schlammig, Tag und Nacht vorangetrieben in Kälte, Wind und jedem Wetter. Selbst das dichte Nebeneinander im Graben gibt keine Wärme, die Kleidung ist klamm, aber trotzdem ist der Blick wachsam - so gut es eben geht nach dieser langen Zeit. Alles ist kahl, kein Baum steht mehr, nur noch Asche, Staub, Dreck. Die Natur hat aufgehört zu arbeiten, der Boden ist verseucht.
Überall tiefe Gräben, durchbohrte Hügel; seit dem 21. Februar hagelt es, es hagelt Granaten, das Geräusch macht wahnsinnig. Die Dächer sind eingestürzt, Waschhaus, Schule, Bauernhof, Schmiede… alles zerstört. Niemand mehr da, nur noch Ruine. Kein Weiterkommen, alles umzingelt. Besonders nachts kriecht die Kälte die Kleidung hoch, dann, wenn er im Schützengraben liegt. Er denkt an sie, zitternd, während der Durst ihm fast den Verstand raubt, die Läuse sich durch sein Hemd bohren, er ist irgendwie abgestumpft. Der Hunger macht krank.
Der Todeskampf beginnt, die Zerstörung schreitet fort, unaufhaltsam. Wie wäre es, noch einmal in einem Bett zu liegen? Kein Weg zum Schutzbunker. Neben ihm liegt ein Kamerad, nutzlose Aufopferung. Er will die Erinnerung verbannen, aber sie geht nicht, sie hat sich tief in sein Gehirn gebohrt, Feuer, Flammen, Schreie, Staub und Asche. Gib mir noch einmal deine Hand, decke mich ein letztes Mal zu.
18 Jahre, mort pour la France! Gestorben für das deutsche Vaterland!
Verdun – aus Schülersicht
„Die Exkursion hat mir die Ausmaße und Tragik eines Krieges nähergebracht. Was sonst so fern ist, ist plötzlich ganz nah.“
„ ‚Dieses Martyrium von einigen Minuten, multiplizieren Sie es mit Stunden, multiplizieren Sie es mit Tagen, und Sie werden eine Vorstellung von dem erhalten, was das Leben der Verteidiger von Douaumont unter dieser von einem Delirium tremens erfassten Artillerie war.‘
(Oberleutnant J.-P., Frankreich, 1916)
Wir haben einen Tag in Verdun verbracht und es stimmt: alle heute gesammelten Eindrücke, alles Geschehene, seien es die Schützengräben, die Granattrichter, die Festung oder der Anblick vor und der Blick in das Beinhaus, zeugen von der unvorstellbaren Grausamkeit des Ersten Weltkriegs. Die völlige Idiotie des Krieges wird hier in einer solch erschütternden Weise dargestellt, wie wir sie uns gerade in heutigen Zeiten gar nicht oft genug vor Augen führen können!“
„Es ist erschreckend, wie ruhig und friedlich dieser Ort (abgesehen von Touristen) in der Natur liegt. Man muss sich des Öfteren bewusst machen, warum man da ist und was vor ca. 100 Jahren passierte. Die Museen und alten Anlagen halfen jedoch etwas dabei, sich in die damalige Zeit zu versetzen. Verdun zeigt, wie leicht Krieg in Vergessenheit geraten kann, wenn man nichts dagegen tut.“
„Verdun macht deutlich, dass die gefallenen Soldaten echte Menschen mit Gefühlen, Gedanken und der Hoffnung auf eine gute Zukunft waren. Für die heutige Zeit zeigt es uns, dass Menschenleben schützenswert sind und dass niemand Krieg und die damit verbundenen Qualen verdient hat.“
„Verdun kann als Inbegriff für die Grausamkeit und die Sinnlosigkeit von Krieg betrachtet werden. Sie lehrt uns, dass die Diplomatie Konflikte auf Basis von Gesprächen lösen sollte. Geeinte Bündnisse wie die transatlantische NATO sind ein Ausdruck dessen, was Zusammenarbeit erwirken kann – sie ist zum Wohle aller Teilnehmer.“
„Verdun ist ein Brandfleck in der Landschaft und Geschichte der Welt. Ergebnis einer fehlgeleiteten Logik, jeglicher humanitärer Grundsätze entbehrend, der Mensch in perfider Form als Mittel zum Zweck ohne jede Würde, reduziert. Ein winziges Zahnrad in einem großen Getriebe, bestimmt von menschlichem Versagen. Doch dazu muss es gar nicht erst kommen, wenn sich das Individuum auf seinen freien Willen und seinen Verstand stützt und nie das Hinterfragen verlernt. Darum währet den Anfängen!“
„Es ist schon bedrückend, an dem Ort zu stehen, wo vor über 100 Jahren Tod und Verderben herrschte. Die ‚Knochenmühle von Verdun‘ oder ‚Hölle von Verdun‘ trägt ihren schrecklichen Namen leider zu Recht.“
(M.Weinand)